Rheydt, ich vermisse Dich! Etwa seit einem halben Jahr wohne ich in einer anderen Stadt, die zu weit entfernt liegt, um öfters in Rheydt zu sein, aber in Gedanken bin ich noch sehr oft in der alten Heimat.
Die nette, persönliche Einladung von Frau Cancian zum Tag des offenen Denkmals 2019 war mir ein sehr willkommener Anlass, für ein verlängertes Wochenende nach Rheydt zu fahren. Schließlich hatte ich auch schon in den Jahren zuvor (2016, 2017 und 2018) über den TdoD geschrieben und so war es nur folgerichtig, die Serie fortzusetzen.
Auch in diesem Jahr hat die Untere Denkmalbehörde wieder ein tolles Programm auf die Beine gestellt und eine sehr informative Broschüre geschrieben. Ich wusste gar nicht, dass „das mittlerweile vierte Heft führend in ganz NRW in der Aufarbeitung des Denkmaltages“ ist, wie der Stadtdirektor und Technische Beigeordnete Dr. Bonin seine Kolleginnen und Kollegen lobte. Ich würde mir wünschen, dass eines Tages ein Buch mit allen Texten und Fotos der Denkmaltage erscheint. Bis dahin bewahre ich die kleine Hefte wie besondere Schätze.
In der vollen Aula des Hugo-Junkers-Gymnasiums gab Bonin eine kurze Einführung in die Relevanz des Bauhaus in der heutigen Zeit. Die multidisziplinäre Bewegung entstand 1918/1919, u. a. unter Walter Gropius und dem auch in Mönchengladbach tätigen Otto Bartning. Sie führte in Weimar zur Gründung des Bauhaus, das in Dessau anschließend unter Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe seine Blütezeit erlebte. 1933 fand das teilweise marxistisch geprägte Bauhaus mit dem Nationalsozialismus sein Ende.
„Bauhaus“ ist Vielen mit seinen prägenden Stilelementen in Architektur und Gebrauchsgegenständen eher als Schlagwort bekannt: reduzierte Formen und sachliche Funktionalität bis fast zum Minimalismus („Weniger ist mehr“, Ludwig Mies van der Rohe). In Abgrenzung vom vorangegangenen Jugendstil galt nun „form follows function“ (Dankmar Adler prägte diesen Spruch bereits 1896).
Neben aller Betonung der Funktionalität blieb die Gestaltung jedoch ein wichtiges Anliegen. Die avantgardistische Modernität der streng geometrischen Formen aus den 1920er Jahren findet heute noch Gefallen. Das Bauhaus hatte auch politische und soziale Anliegen, war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg doch von großer Wohnungsnot und hoher sozialer Ungleichheit geprägt und es galt, neuen Wohnraum mit höheren Standards zu schaffen.
Hier findet Bonin den Ansatzpunkt für die Übertragung auf sein Großprojekt „mg+ Wachsende Stadt“: Städtebau müsse heute „das Leben neu denken“ und die Zukunft gestalten. Die Herausforderung liege darin, dass beim Umgestaltungsprozess niemand verloren ginge. Dabei scheue der Mensch doch nichts so sehr wie Veränderung. Smart Cities werden längst mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit gestaltet. So gelte auch bei den verschiedenen neuen Quartieren in der Wachsenden Stadt (denen man durchaus Straßennamen von Vertretern des Bauhaus geben könne) der Anspruch an „gesundes Bauen“. Es mutet merkwürdig an, dass Bonin die Umsiedlungen als Folge des Braunkohletagebaus Garzweiler II erwähnt. Hat er sich die neuen Orte vor den Toren Mönchengladbachs einmal angesehen? Ökologisches Bauen sieht anders aus! Und auch in puncto verkehrspolitische Umorientierung hat der Niederrhein noch viel vor sich.
Aber heute geht es ja vor allem um den Denkmalschutz. Dr. Schumacher, Leiter der Unteren Denkmalbehörde, übernimmt und gibt einige Beispiele dafür, „was das Bauhaus, das eher im Osten beheimatet war, auch für uns im Westen bedeutet“. Er nennt etliche Beispiele von Kirchen, Klostern, Krankenhäusern und sonstigen Bauten in und um Mönchengladbach, die dem Neuen Bauen zugerechnet werden können (aus Platzgründen verweise ich für weitere Informationen auf das Begleitheft). Bauhaus in Reinform, mit seinen verputzten, weißen Fassaden und Flachdächern, ist am Niederrhein nur selten zu finden, jedoch gibt es etliche Gebäude mit den hier üblichen Backsteinfassaden und Satteldächern, die sich an das Bauhaus anlehnen.
Die Architekten und Bauherren verständigten sich auf „zeitgemäßes Wohnen für eine moderne Gesellschaft“, um Walter Gropius zu zitieren. Dabei sollten „Licht, Luft und Sonne“ von außen in den Wohn-, Fabrik- oder Sakralraum dringen. Großzügig geschnittene Wohnungen hatten Bäder und Toiletten, Balkons, Loggias oder Terrassen und mitunter auch Garagen – je nach Zielgruppe.
Wir laufen zum Schülerinnenwohnheim der Maria-Lenssen-Berufsschule in der Mühlenstraße 33, noch um 1933 eher überraschenderweise in der Geburtsstadt Goebbels’ als Paradebeispiel für modernes Bauen entstanden, und stärken uns mit leckeren Waffeln, bevor wir uns auf den Rundgang durch Rheydt mit Frau ten Busch begeben. Auch die RP ist dabei.
Der Rundgang bewegt sich in der Nähe der ehemaligen Stadtgrenze von Rheydt und Mönchengladbach. Die zuvor eigenständigen Städte waren zunächst von 1929 bis 1933 zusammengelegt und man wollte an der ehemaligen Grenze ein neues Stadtzentrum durch Auffüllen bestehender Baulücken schaffen.
In der Oskar-Graemer-Straße 6 steht ein Bauhaus-Haus, das Moses Stern für seinen Sohn erbauen ließ. Da 1990 die Unterschutzstellung als Denkmal abgelehnt wurde, wurde es zwischenzeitlich erheblich umgebaut. Frau ten Busch betont, dass der Denkmalschutz nichts oktroyieren wolle: „Besser geht es, wenn der, der darin wohnt, von seinem Schätzchen Kenntnis hat.“ Das 1980 in NRW verabschiedete Denkmalschutzgesetz führte vielerorts zum Umdenken und eine stärkere Wertschätzung entstand für Gebäude, deren Artverwandte man in den Nachkriegsjahren oft abgerissen hatte.
Als nächstes bewundern wir das Mehrfamilienhaus an der Ecke Blumenstraße/Lermenchesweg mit auffälliger Ziegelsteinverblendung und teilweise ausgebautem Dachgeschoss.
Auch an der Ecke Cecilienstraße/Lermenchesweg sind die vertikale Akzentuierung und Anpassung an die Nachbarhäuser zu erkennen.
An den Einmündungen der Blumenstraße bzw. der Freiheitsstraße in die Brucknerallee fallen beide Male die Sprünge in der Fassade und die besonderen Balkone zur Straße hin auf.
Unser Rundgang endet am nach dem damaligen Stadtbaumeister benannten und 1928 erbauten Fischerturm mit Uhren und Lichtkuppel, der eine stilistische Nähe zum Expressionismus aufweist.
Wir schauen uns nun noch ausgiebig das Schülerinnenwohnheim an, dessen ursprüngliche Farbgebung im Inneren rekonstruiert wurde. Von der riesigen Dachterrasse hat man einen schönen Blick auf den Park. Welch ein Wohnkomfort für die Schülerinnen (und heute auch Schüler)!
Neues Bauen ist weitaus mehr als glatte, weiße Fassade, weil die Bewegung allen Menschen ein qualitätsvolles Leben hinter den Fassaden ermöglichen wollte. Die vor 100 Jahren avantgardistische Architektur kann auch den heutigen Städtebau noch inspirieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir als Wohnung nun sehr gut eine aus der Bewegung des Neuen Bauens vorstellen kann.
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